Vor 100 Jahren schrieb der große Lehrer und Leitstern der Menschheit, Albert Schweitzer, ein schmales Büchlein. Auf 63 Seiten legte er dar, nach dem ersten großen Weltenbrand, unter welchen Bedingungen Kulturen zerfallen und was zu tun wäre, wenn wir denn eine zukunftsfähige Kultur schaffen wollten. Aus gegebenem Anlass der aktuellen Stimmung im Land habe ich es wieder einmal gelesen.
Eine Kultur zerfällt, so Schweitzer, wenn sie die ethischen Vernunftideen, auf denen jede Kultur beruht, vergisst und eine kalte, orientierungslose Wissenschaft, die einzig auf materielle Errungenschaften abzielt, und kurzsichtigste Nützlichkeitserwägungen an deren Stelle setzt. Wenn sie die Worte Fortschritt, Zivilisation und Kultur ohne Rücksicht auf deren ethische Basis verwendet. Wenn sie Freiheit und Denkfähigkeit der Menschen herabsetzt. Wenn sie Menschen von der Natur, vom nährenden Boden losreißt und damit schwere psychische Schädigungen bewirkt. Wenn Zeitungen und Zeitschriften den Menschen Geistlosigkeit aufdrängen, die Affinität zum Nebenmenschen und der Schöpfung nicht mehr thematisieren, Menschen keine Würde zuerkennen und damit die Einzelnen von der Humanität abbringen. Wenn sie in (Vor-) Kriegszeiten zur Disziplinierung der Gedanken Propaganda an die Stelle der Wahrheit setzen. Wenn die öffentlichen Verhältnisse überorganisiert werden.
„Um seine Macht zu vergrößern, nahm jeder Kulturstaat Bundesgenossen…. Die Gehilfen verharrten nicht in der dienenden Rolle, sondern gewannen steigenden Einfluss auf den Gang der Dinge, bis sie es zuletzt in der Hand hatten, zu bestimmen, wann die europäischen Kulturvölker um ihretwillen gegeneinander anzutreten hätten.“ (Seite 32)
Eine Erneuerung unserer Welt, so Schweitzer, ist denkbar, wenn wir, vorerst unter den alten Verhältnissen, neue Menschen werden und als eine Gesellschaft mit erneuerter Gesinnung die Gegensätze zwischen den Völkern und in den Völkern so ausgleichen, dass wieder Kulturzustände möglich werden. (Seite 37)
Im Kern umfasst diese Gesinnung Respekt und Achtung vor allem Leben. Dieses Lebensthema von Albert Schweitzer klingt uns im Ohr. Wir haben diesem Respekt bei der Gemeinwohllobby-Initiative im Entwurf einer Verfassung für unser Land als Paragraf 1 oberste Priorität gegeben. Ein Dank an Albert Schweitzer für sein Lebenswerk und weiter viel Energie in unsere Runde, um die großen Ideen unseres Lehrers weiter in der entstehenden Gesellschaft zu verankern. Ihr Peter Schmuck
Albert Schweitzer (1923). Verfall und Wiederaufbau der Kultur. München: Beck.
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