Titicacasee II: Wie attraktiv ist das Leben auf dem Land?



Seit einem halben Menschenleben beschäftigt mich die Frage, warum so viele Menschen vom Land flüchten und das Stadtleben bevorzugen. Denn eines scheint klar zu sein: Mit industriell betriebener Landwirtschaft, (Ursache und auch Konsequenz der Entvölkerung der Dörfer) ist die ökologisch vertretbare Herstellung gesunder Lebensmittel nicht möglich. Permakultur   hingegen braucht Menschen auf dem Land.

Vor knapp hundert Jahren versuchten russische und deutsche Psychologen bei indigenen Menschen in Mittelasien herauszufinden, was diese von uns in den Industrieländern unterscheidet. Diese Untersuchung liegt seit 1987 auch in deutscher Sprache vor*. Was mich beim Übersetzen überrascht hat, war u.a. die Antwort der Indigenen auf die Frage der Forscher: „In welche Stadt würden Sie gern einmal reisen?“ Die Forscher staunten nicht schlecht, denn die Antwort war unisono: „Ich will in keine Stadt. Dort soll es laut sein und stinken, und die Leute grüßen sich nicht, sondern rennen hektisch herum und schauen ständig aufs Handgelenk, wo so ein Zeitmesser befestigt ist. Ich bleibe hier und trinke Tee.“

Eigentlich einleuchtend, aber der Trend zur Verstädterung ist ein Fakt und hält an. Heute hatte ich Gelegenheit, diese Frage drei hiesigen Ketschua-Bäuerinnen zu stellen, die am Titicacasee beim Dorf Ccotos Mittagspause machten. Sie teilen ihr Essen mit mir – und tuschelten erst eine Weile in Ketschua, bevor mir eine von ihnen, die auch Spanisch beherrschte, antwortete: „In den Städten stinkt es und ist laut, da wollen wir nicht hin.“

Später im Gespräch hatten sie dann eine Frage an mich: „Por que no hay lluvia?“ WARUM REGNET ES NICHT? Zum Hintergrund der Frage: Von Dezember bis März ist hier Regenzeit, doch bis heute steht der Regen aus.

Ich sagte spontan, dass es in Deutschland in diesem Jahr auch ein halbes Jahr keinen Regen gab – aber das war ja keine Antwort. Dann ging ich den Klimawandel ein, verursacht durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe, der die Regenzyklen durcheinanderbringt. Und fragte sie, was sie von Strom halten, der das Klima nicht beeinträchtigt. Nach einigem Tuscheln in Ketschua sagten sie, das fänden sie gut. Aber wie solle das gehen?

So hatte ich die Brücke zu den Holz-Windrädern und erzählte ein wenig darüber. Sie schauten zunächst skeptisch drein, doch nachdem ich Fotos gezeigt hatte, meinten sie, das sei dann wohl eine gute Sache. Und dass so ein Rad in einer Woche gefertigt werden kann und danach pro Jahr bis zu 1.000 kWh bringt, für die man nix bezahlen muss, fanden sie einfach klasse.

In den kommenden Tagen werde ich den interessierten PartnerInnen, die ich bislang kontaktiert habe, einen kleinen Workshop anbieten, um ggf. erste Schritte zur Umsetzung festmachen.

Wenn die Vorteile des Landlebens hier ergänzt werden durch eigenständige Energieversorgung, könnte das eine Chance sein, die kleinen Paradiese hier zu erhalten und die klare und einfache Begründung der Attraktivität des Landlebens gegenüber dem derzeitigen Leben in Städten nicht zu zerstören.

*Lurija, A. (1986), Die historische Bedingtheit individueller Erkenntnisprozesse. VCH Verlag. Übersetzung aus dem Russischen von P. Schmuck und U. Kämpf





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